Legenden by Stefan Zweig

Legenden by Stefan Zweig

Autor:Stefan Zweig
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3100970330
Herausgeber: S. Fischer Verlag GmbH


Hell und heiß brannte der italische Morgen, als die elf Greise mit dem Kinde zu dem Hafen von Portus gelangten, wo der Tiber seine gelbe Flut matt und lustlos ins Meer ebben läßt. Sehr wenige Schiffe der Vandalen warteten noch an der Reede, eines nach dem andern stieß schon ab, den Mast sieghaft bewimpelt und den breiten Bauch mit Beute beschwert; schließlich lag bloß ein einziges mehr vor Anker am Ufer und fraß gierig aus den überfüllten Karren das Letzte des römischen Raubes. Ein Wagen hinter dem andern rollte zur Leerung gehorsam heran, und jedesmal trugen über eine bretterne Lauftreppe die Sklaven auf ihren braunen Schultern oder hochgestemmt auf dem Haupt die schweren Lasten zu dem Schiffe empor, Kisten und Truhen mit Gold und runde Amphoren mit Wein. Aber sosehr sie sich auch sputen mochten, dem ungeduldigen Herrn des Schiffes war ihr Dienst nicht schleunig genug, und so trieben mit Peitschen die Aufseher der Vandalen die Sklaven zu immer rascherem Gang. Nun hielt der letzte Karren vor dem Schiff; es war jener, dem die elf Greise mit dem Kinde nachgewandert waren die lange Nacht und der den Leuchter des Tempels enthielt. Noch war seine Last mit Stroh und Tüchern überdeckt, aber brennenden Blicks starrten die Greise auf den gehäuften Karren hin und bebten vor der Enthüllung. Jetzt war der Augenblick der Entscheidung, jetzt oder nie mußte das Wunder geschehen.

Der Knabe aber blickte nicht hin mit ihnen. Wie verzaubert starrte er auf das Meer, das er erstmalens erschaute. Da war es, blauer unendlicher Spiegel, strahlend gewölbt, bis zu dem scharfen Strich, wo die Flut den Himmel berührte, und noch weiter schien ihm dieser riesige Raum als die Kuppel der Nacht, da er zum ersten Mal das volle Rund der Sterne im ausgewölbten Himmel gesehn. Gebannt beobachtete er, wie die Wellen mitsammen spielten, wie sie einander jagten und stießen, wie eine über den Rücken der andern sprang und dann in einem leisen, glucksenden Lachen des Übermuts schäumend entflüchtete, um neu und neu sich zu formen, und er ahnte eine Heiterkeit in diesem seligen Spiel, wie er sie nie zu träumen gewagt im rostigen Schatten seiner engen Abseits- und Armengasse. Gewaltsam spannte sich seine magere Kinderbrust und sehnte sich, weit zu werden, stark und groß, um Luft und Welt in sich zu trinken und den Atem dieser Freudigkeit einzufühlen bis tief in sein jüdisch verschüchtertes Blut. Unwiderstehlich lüstete es das entzückte Kind, vorzutreten bis hart an das Nasse heran und die Arme zu dehnen, die kleinen, um zumindest einen ahnenden Atemzug dieser Unendlichkeit an den eigenen Leib zu drängen, und aufgehoben von innen her, fühlte er sich im Anschaun dieses Schönen und Hellen wie noch niemals beglückt; ach, wie unbefangen war hier alles, wie frei und ohne Angst! Als weiße Geschosse fuhren die Möwen herab und wieder auf, weich und seidig blähten die schönen Schiffe ihre Segel im Wind. Und plötzlich, als der Knabe geschlossenen Auges das kleine Haupt zurücklehnte, um tiefer die salzig kühle Luft in sich einzutrinken, fiel es ihm ein, das erste Wort, das er gelernt: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.



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